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In der Jurte
Das Benehmen in der Jurte
Wer sich gründlich auf seine Mongolei-Reise vorbereitet, wird sicher auch das
eine oder andere völkerkundliche Buch über die Steppennomaden zur Hand nehmen
und dort ausgiebige Abhandlungen über die Sitten und Gebräuche der Mongolen
finden. Wer heute als weißhäutiger Ausländer eine Jurte betritt (gemeint sind
hier natürlich nicht die Jurten, die in Touristencamps stehen), ist in den
Augen der Nomaden das, was sie als gehörnten Hasen bezeichnen. Das soll heißen,
daß man, soweit man sich in den Grenzen des weltweit gepflegten guten Benehmens
und der zwischenmenschlichen Beziehungen bewegt, mindestens die Narrenfreiheit
besitzt, die man Kleinkindern zubilligt. Ein Tourist, der zu deutlich zu
erkennen gibt, daß er aus der Großstadt kommt, hat bestimmt für die
Einheimischen, vor allem für die Kinder natürlich, einen großen
Unterhaltungswert.
Annäherung
an die Jurte
Dennoch kann es sicher nicht schaden, sich zumindest nach den gängigsten
Gepflogenheiten im Jurtenlager zu richten. Zu einer anständigen Jurte gehören
ein oder mehrere große Hunde, die nicht nur gehalten werden, um die
Küchenabfälle zu fressen, sondern deren Hauptbeschäftigung im Kampf gegen die
Wölfe und im Schutz der Jurte vor Eindringlingen besteht. Diese Aufgaben
erfüllen sie mit großem Nachdruck. Ein Wagen, der sich der Jurte nähert, wird
bereits aus 200 m Entfernung attackiert. Schlecht beraten sind in einer solchen
Situation Radfahrer, es sei denn, sie benutzen ein Hochrad. Auch Pferde
reagieren auf derartige Attacken nervös. Die Wahrscheinlichkeit, daß man sich
durch einen Hundebiß die Tollwut zuzieht, ist eher gering, dennoch kann ein
anständiger Biß das vorzeitige Ende der Reise bedeuten. Wer will schon das
Risiko einer Infektion eingehen. Warten Sie deshalb in der Nähe der Jurte, bis
die Hunde angebunden sind oder von Kindern festgehalten werden. Vermeiden Sie
es, bei der Annäherung an die Jurte von hinten, also von Norden zu kommen oder
über auf dem Boden liegende Peitschen, Fangstangen oder Bindestricke für die
Jungtiere zu fahren. Parken Sie nicht unmittelbar vor der Jurtentür, sondern in
20-30 m Abstand.
Eintritt
und Begrüßung
Beim Eintritt in die Jurte - Vorsicht, die Tür ist sehr niedrig - sollte man
nicht auf die Schwelle treten. Dies würde als schlechtes Omen, das vom Gast
ausgeht, gewertet. In der Regel weist der Hausherr oder die Hausherrin den
Gästen, zumindest den als maßgeblich erscheinenden (am maßgeblichsten
erscheinen die Älteren und die Dicken!) Plätze zu, indem sie extrem niedrige
Hocker bereitstellt. Die Rangordnung innerhalb der Gäste bestimmt im
klassischen Verständnis der Mongolen auch, wie sie untereinander in der Jurte
Platz nehmen. Derjenige, der an weitesten im Chojmor, dem Ehrenplatz genau
gegenüber der Eingangstür, Platz nimmt, wird mit Sicherheit als der Boss
angesehen. Gäste nehmen immer auf der Westseite des Jurteninneren Platz. Die
Westeite ist die linke Seite, weil die Eingangstür traditionell nach Süden
zeigt. Rangniedere Gäste bleiben im Bereich der Tür. Wir wollen damit andeuten,
daß Sie, wenn Sie in einer Gruppe unterwegs sind, in der Art, wie sie sich
plazieren, automatisch ihre Rangordnung untereinander verdeutlichen. Schwierig
ist die Einordnung von Frauen. Die Damenwelt gehört eigentlich in den
östlichen, d.h. rechten Teil der Jurte. Das hat offenbar den praktischen Grund,
daß die Ofenöffnung auch nach rechts zeigt. Gerade am Ofen, der in der
einschlägigen Literatur als absolutes Kultobjekt beschrieben wird, wird jedoch
deutlich, daß es mit den jahrtausendealten Traditionen nicht mehr überall weit
her ist. Im Uwurchangaj-Aimak z. B. wird man nur schwerlich auf eine Jurte
stoßen, wo die Ofenöffnung nicht nach links zeigt und damit eigentlich schwer
traditionswidrig gehandelt wird. In der Regel jedoch sitzt der höchste Gast
leicht links von der Diagonalen zwischen Jurtentür und dem Chojmor; der
Gastgeber ihm gegenüber leicht rechts davon, also schon auf der Frauen- oder
Küchenseite.
Bevor, von den
Begrüßungsworten abgesehen, ein Gespräch in Gang kommt, haben die Gäste meist
schon eine Schale Tee, in den Sommermonaten je nach Region auch eine Schale
Airag in der Hand. Teegefäße, wie überhaupt alle Gegenstände, die einem
gereicht werden, nimmt man mit der rechten Hand entgegen, wobei der Unterarm
bedeckt sein sollte (lange Ärmel) und im Bereich des Ellenbogens von der linken
Hand gestützt wird. Mongolen krempeln ihren Deel, wenn ihnen etwas gereicht
wird, demonstrativ weit nach unten. Beleidigend ist es, wenn Sie die gebotene
Schale Tee oder angebotene Speisen ablehnen. Man wird Sie nicht zwingen, etwas
zu essen oder zu trinken, aber man erwartet, daß sie die Speisen zumindest
probieren, sei es auch nur durch das Führen an die Lippen. Wenn eine Schale
leer ist, wird die aufmerksame Hausfrau sie gleich wieder füllen. Dies setzt
sich so lange fort, bis der Gast seine Schale nicht mehr austrinkt. Etwas
stehen zu lassen, gilt also nicht als unhöflich - im Gegenteil; es erfüllt die
Gastgeber mit Stolz, wenn sie den Gästen mehr bieten konnten, als diese zu
verputzen vermochten.
Zwischen dem Begrüßungstee
und dem Essen, das vielfach zu einem Besuch in einer Jurte gehört, entfaltet
sich dann die Unterhaltung. Der Tradition nach werden dabei zunächst
Informationen über das Woher und Wohin der Reisenden ausgetauscht. Der
Gastgeber erwartet, daß er nach seinem Gesundheitszustand, dem seiner Familie
und der Lage in der Herde gefragt wird. In den Begrüßungsfloskeln wird man nie
eine schlechte Antwort geben. Selbst wer seinen Kopf schon unter dem Arm trägt,
wird immer antworten, daß es ihm körperlich hervorragend geht.
Die Nomaden sind selten
sehr gesprächig und antworten eher ausweichend. Sie empfinden es als
befremdlich, wenn der gerade Angekommene eigenartige, die Privatsphäre oder den
Haushalt betreffende Fragen stellt, die sich aus Sicht des Befragten von selbst
beantworten oder den Fragenden nichts angehen. Diese Eigenart der Nomaden
erschwert es z. B. Studenten oder Wissenschaftlern, empirische Daten zu
sammeln. Beliebt ist, wenn schon geantwortet werden muß, das Wort "etwa".
So erfährt man, daß die Familie etwa 10 Kinder und etwa 300 Tiere hat. Etwa 10
können ebenso 8 wie 12 Kinder sein.
Besonders bei den Alten
sehr beliebt ist das Schnupfen von Tabak. Aus edlem Material hergestellte und
reich verzierte Schnupftabakflaschen sind das, was die Rolex am Handgelenk des
bewunderungssüchtigen Europäers darstellt. Der Hausherr überreicht seinem
vermeindlich höchsten Gast, also dem, der ihm am nächsten sitzt, die leicht
entkorkte Flasche, indem er sie im Ballen seiner rechten Hand führt. Der Daumen
liegt dabei am Korkenknopf, der zumeist aus Koralle besteht. Der zum Schnupfen
aufgeforderte Gast nimmt die so dargereichte Flasche in gleicher Weise
entgegen, d.h. er bedeckt seinen rechten Unterarm oder zieht demonstrativ den
Ärmel noch weiter hinunter, als er schon ist und nimmt die Flasche ebenfalls
mit dem Handballen entgegen, wobei der Daumen an den Korkenknopf geführt wird.
Anschließend zieht man den Korken gänzlich heraus. Im Korken steckt ein
Löffelchen, an dem Spuren des Schnupftabaks kleben. Diese Krümel sollten für
den "Nichtschnupfer" als Geste ausreichend sein. Es reicht auch,
einfach am leicht aus der Flasche gezogenen Korken zu riechen. Wer eine
richtige Prise probieren möchte, muß unter Schütteln der Flasche mit dem Löffelchen
versuchen, mehr herauszubekommen. Das Pulver legt man entweder auf den
Daumennagel oder in die Maus der linken Hand und führt diese dann an die Nase.
Nachdem man hoffentlich nicht durch lautes Niesen für einen Lacherfolg gesorgt
hat, gibt man die Flasche in analoger Weise wieder an den Gastgeber Zurück.
Wichtig ist, daß der Korken nur leicht verschlossen wird. Um zu vermeiden, daß
er zu tief hereinrutscht, stützt man ihn mit dem Daumen. Zu fest verschlossen
überreichte Flaschen deuten auf "harte Zeiten", auf Mißgunst oder gar
Feindseligkeiten hin.
Die eben beschriebene
Zeremonie ist im Grunde nur die Aushilfsvariante für den Fall, daß Sie
ihrerseits keine Schnupftabakflasche dabei haben. Mongolen tauschen ihre
Flaschen, indem sie sie geschickt in den Handballen aneinander vorbeischieben.
Sind mehrere Männer anwesend, werden sie ihre Flaschen nach und nach ebenfalls
zücken und Ihnen anbieten.
Essen
Auf einen gut gedeckten mongolischen Jurtentisch gehört auch eine Sammlung
weißer Speisen, das sind Stückchen getrockneten Quarks, Rahmscheiben und
Zuckerzeug, die auf einem großen Tablett von der Hausfrau herumgereicht werden.
Die Sitte gebietet es auch hier, zumindest ein Stückchen zu kosten. Die
Quarkstückchen sind an der Sonne getrocknet und deshalb extrem hart. Wer sich
ein zu großes Stück zumutet, kann sich damit stundenlang beschäftigen und muß
vorsichtig sein, sich nicht die Zähne auszubeißen. Vom Rahm können sie
bedenkenlos kosten. Alle Milchprodukte sind pasteurisiert, deshalb besteht
keine Gefahr, sich über frische Milch mit Brucellose zu infizieren.
Die Eßkultur der Nomaden
ist sehr einfach. Zum Essen bleibt man an dem Platz sitzen, den man gerade inne
hat, wer im Chojmor sitzt, kann den dort befindlichen niedrigen Tisch nutzen,
um die Schale abzustellen, im Türbereich Sitzenden bleibt nur der Fußboden.
Wenn es Suppe gibt, türmt die Hausfrau das Fleisch und die Nudeln
pyramidenartig über den Rand der Schale, was die ersten Happen etwas
problematisch macht. Wenn es gekochtes Fleisch gibt, kommt die Schüssel mit den
Stücken auf den Tisch am Chojmor, und jeder kann sich selbst bedienen. Einige
Knochen haben eine kultische Bedeutung. So wird das Schulterblatt vornehmlich
dem Hausherren oder dem Ehrengast überlassen. Dieser wiederum muß allen
Anwesenden symbolisch ein Stück davon abgeben. Eine große Ehre ist es, wenn man
das Fleischstück des Schulterblattes sogar in den Mund geschoben bekommt.
Nachdem das Schulterblatt säuberlich abgeputzt ist, wird es mit dem Messer in
der Mitte gelocht. Dies soll den bösen Geistern die Möglichkeit geben, sich
fortzubewegen. Wer den Unterschenkelknochen des Schafes oder der Ziege erwischt
hat, muß nach dem Essen seine Manneskraft beweisen, indem er versucht, mit dem
Druck des Daumens das Sprunggelenkknöchelchen vom Röhrenknochen zu trennen. Die
Wahrscheinlichkeit, daß Sie das schaffen, ist allerdings eher gering.
Alkohol
Oft schon vor oder während des Essens wird begonnen, zu Ehren des Gastes
Schnaps zu reichen. Besonders geehrt können Sie sich fühlen, wenn die Hausfrau
oder der Gastgeber eigens dazu eine lange gelagerte Flasche ganz unten aus der
Chojmor-Truhe holt. In den Sommer- und Herbstmonaten wird vielfach auch
selbstgebrannter Milchschnaps angeboten. Traditionell wird nur eine Schale,
möglichst aus Silber, benutzt, aus der alle Anwesenden reihum trinken. Der
Gastgeber schenkt ein und reicht die Schale dem höchsten Gast. Dieser muß sie,
auch wenn er nicht trinken möchte, symbolisch zum Mund führen. Mongolen tauchen
vor dem Trinken oft ihren rechten Ringfinger in die Schale und spritzen einige
Tropfen der Flüssigkeit in die Luft. Damit sollen die die Jurte beschützenden
Geister am Trunk beteiligt werden. Nach dem Trinken gibt man die Schale dem
Gastgeber Zurück, worauf er sie wieder füllt; selbst wenn gar nicht getrunken
wurde, gibt er zumindest einige Tropfen hinzu. Auf diese Weise werden auch die
anderen Anwesenden bedient.
Der Milchschnaps wird von
den Mongolen auch als "hinterlistiger Schnaps" bezeichnet. Sein
Alkoholgehalt hängt davon ab, wie geschickt die Hausfrau bei seiner Herstellung
vorging. Die Prozentzahlen von Korn oder Wodka werden jedoch nie erreicht. Beim
Trinken überdeckt ein leicht säuerlicher Milchgeruch den Geschmack des
Alkohols. Es brennt weder auf der Zunge noch im Hals. Wer aber nach mehreren
Schalen davon aufsteht, wird plötzlich das Gefühl bekommen, man ziehe ihm die
Beine weg.
Wenn Sie nach so viel Gutem
"nach den Pferden schauen" müssen, wie die Mongolen das Austreten
nett umschreiben, dann begeben Sie sich ein gehöriges Stück von der Jurte weg,
aber nicht auf ein Gewässer zu.Vergewissern Sie sich, daß der Hund immer noch
angebunden ist.
Übernachtung
Sollten Sie, aus welchen Gründen auch immer, in die Verlegenheit kommen, in
einer Jurte übernachten zu wollen oder zu müssen, folgen Sie am besten den
Hinweisen des Gastgebers. Er wird versuchen, es Ihnen so bequem wie möglich zu
machen. In der Regel tritt die Familie den Gästen sogar die Betten ab und
schläft selbst auf der Erde. Am Morgen sollte man erst aufstehen, wenn die
Hausfrau aufgestanden ist und Feuer gemacht hat. Man steht in der Regel erst
auf, wenn die Sonne schon ein Weilchen aufgegangen ist und es draußen langsam
warm zu werden beginnt.
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