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Kultur
der Nomaden
Wenn
auch das Nomadenleben eindeutig die Kultur der ländlichen Mongolei bestimmt, so
ist diese Kultur keineswegs einheitlich, sondern ebenso wie die Landschaft von
erstaunlicher Vielfalt. Unterschiedliche Regionen und Ethnien bringen
unterschiedliche Rituale hervor, andere Tänze und Lieder, Kleidung und
Kunsthandwerk. Und gerade die ethnischen Minderheiten sorgen für eine große
Buntheit in der von den Khalka dominierten mongolischen Bevölkerung. So die
muslimischen Kasachen im Westen, in den Ausläufern des Altaigebirges, wie die
Tuwiner des Westens ein Turkvolk. Im Norden, verteilt auf mongolisches und
russisches Gebiet, leben die sesshaften Buriaten in ihren Blockhäusern. Und
schließlich das kleine Volk der Zaatan in den hohen, unzugänglichen
Bergregionen des Chuwsgul-Sees, das mit seinen Rentierherden und kleinen
Spitzzelten zwischen den tiefer gelegenen Winter- und den hoch gelegenen
Sommerweiden hin- und herwandert.
Das
Bedürfnis der Nomaden nach künstlerischer Gestaltung konzentrierte sich auf die
Dinge des täglichen Lebens, auf Objekte, die klein genug waren, dass sie von
einem Menschen oder von einem Pferd getragen werden konnten. So stellten die
Mongolen alle nötigen Gerätschaften für den täglichen Gebrauch aus Wolle,
Leder, Horn, Filz, Holz, Rinde und dergleichen her. Es wurden auch Steine und
Metalle, vor allem Gold, Silber und Bronze verwendet. Einen hohen Grad
kunsthandwerklicher Qualität erreichten die Arbeiten der mongolischen
Silberschmiede. Der je nach Stamm und Provinz ganz unterschiedliche Kopfputz
der Frauen aus Silber, Korallen und Türkisen, silberne mit Edelsteinen
bestückte Fingerringe und Armreifen, silberverzierte Trinkschalen, Sättel und
Amulettkästchen wurden in einem für die Mongolei ganz charakteristischen Stil
gearbeitet.
Die
Nomaden walkten nicht nur die großen Filzmatten für die Jurtenbespannung,
sondern auch Filzteppiche mit raffiniertem Dekor in verschiedenen Farben sowie
Sitzmatten und Türvorhänge, die zusätzlich gesteppt, bestickt oder appliziert
wurden Sie waren gute Gerber und verstanden sich auf das dekorative Prägen und
Applizieren von Leder, die Schuhmacherei und die Anfertigung von Sattelzubehör,
Zaumzeug und Köcher. Sie nähten und bestickten ihre Kleider und sonstigen
Accessoires aus Textilien wie Taschen für die Trinkschale, Tabaksbeutel,
Geldbörsen etc. Diese Volkskunst bzw. das angewandte Kunsthandwerk wurde und
wird bis zum heutigen Tag unter Verwendung des vorhandenen Rohmaterials
ausgeübt. Die Herkunft der Elemente der künstlerischen Kultur der Mongolen ist
die tiefe Verwurzelung in gemeinsamen kulturellen Schichten der Völker
Zentralasiens, Südsibiriens und Mittelasiens. Neben den Gemeinsamkeiten
zeichnen sich in der Ornamentik und im künstlerischen Stil ihrer Ausführung
aber auch die Unterschiede deutlich ab, die spezifisch nationalen Züge, die für
die mongolische Volkskunst charakteristisch sind. Es dominiert der farbliche
Kontrast bei einem relativ geringen Spektrum von zwei bis drei Farben am
einzelnen Objekt, wobei jede Farbe Symbolwert hat. Rot gilt als Farbe der
Freude und des Sieges, Blau als Farbe der Aufrichtigkeit und Beständigkeit,
Gelb symbolisiert die alles ertragende Liebe, Weiß die Reinheit und inneren
Adel, Grün Gedeihen und Wohlstand, Schwarz das Dunkle, das Böse und Unglück.
Auch die Ornamente selbst sind symbolträchtig. Eine der charakteristischsten
geometrischen Ornamente bedeutet Glückseligkeit, Frieden, auch langes Leben,
und seine Verwendung kommt einem Segen gleich. Unter den zoomorphen Ornamenten
dominiert das »Widderhorn«, das Symbol des Gedeihens der Herden und damit des
Wohlstandes. Zu den pflanzlichen Ornamenten, die konzentriert an Holzarbeiten
vorkommen und die als Symbol des Lebens und Wachsens gelten, gehören das
»Blatt«, die »Blüten« und das »Lotosornament«. Bis zur Verbreitung des
Buddhismus beschränkten sich die Mongolen weitgehend auf Zierkunst, d. h. auf
die dekorative Ornamentierung von Gebrauchsgegenständen. Die spätere,
vornehmlich religiöse Kunst beruht jedoch auf direkten Einflüssen aus Tibet und
aus den südlichen Randgebieten der Mongolei sowie aus der chinesischen
Hochkultur. Symbole, Motive und Gestaltungsweisen wurden übernommen und
existierten in der religiösen und angewandten Kunst der Mongolei weiter. So
finden sich, vor allem im äußerst vielgestaltigen mongolischen Frauenschmuck,
aber auch auf Alltagsgegenständen, Möbeln, Teppichen, Filzapplikationen und
Stickereien noch heute eine Vielzahl taoistischer Symbole, wie etwa die
»Embleme der acht Unsterblichen«: Fächer, Schwert, Pilgerflasche, Kastagnette,
Blumenkorb, Bambus, Flöte, Lotos.
Wenn
in der Volkskunst der Mongolen auch die dekorative Komponente sehr ausgeprägt
ist, so gibt es doch auch figürliche Darstellungen, die eine gute
Beobachtungsgabe der Schnitzer erkennen lassen. Ein beliebtes Objekt für
Schnitzereien in Holz, Knochen und Stein sind die Figuren des bei den Mongolen
beliebten Schachspiels. In diesen Figuren widerspiegelt sich die Umwelt, vor
allem die Welt der Tiere. Skulpturen stellte man außerdem als Spielzeug oder
als Grabbeilagen her. Mit dem Eindringen des Lamaismus erlebte die
professionelle Bildhauerei und Plastik eine neue Blüte.
Auch
in der Malerei lässt sich in vielen Details eine ungebrochene Tradition von
frühesten Zeiten her feststellen. So gibt es schon auf bronzezeitlichen
kultischen Felsmalereien und Ritzzeichnungen Motive und Strukturen, deren
Spuren sich in wesentlich späteren Darstellungen zweifelsfrei nachweisen
lassen. Zu den Besonderheiten der mongolischen Malerei gehören die
konventionelle stilisierte Landschaftsgestaltung und die reiche Verwendung von
Symbolen und Ornamenten. In der Farbgebung begnügte man sich mit einfachen
Nuancierungen: Grün, Blau, Weiß werden als kräftige Kontrastfarben verwendet.
Details, Schattierungen und feinste Miniaturzeichnungen lässt man zugunsten einer
»impressionistischen« Malweise unberücksichtigt.
Besondere
Aufmerksamkeit schenkten die mongolischen Künstler der Anfertigung von
Zsam-Masken, die anlässlich der religiösen Tänze von Mönchen getragen wurden.
Hier entwickelten sie z. T. einen ganz eigenen Stil in der Gestaltung von
Masken, die feurig lodernde Augenbrauen und furchterregend verzogene Mundwinkel
erhielten. Ob die mit Korallen besetzten Masken wirklich beim Tanz getragen
wurden, sie wogen bis zu 15 kg, muss fraglich bleiben, zumal keine Darstellungen
von Tänzern in Aktion überliefert sind. Wahrscheinlich hingen sie mit
schützender Funktion im Tempel und wurden dort als Schmuckelement verwendet.
Die eigentlichen Tanz- oder Gesichtsmasken stellte man aus Stoff her. Dazu
modellierte der Künstler in Leim getränkte, kleine Stoffstücke über einen
Tonkern, der später zerschlagen wurde. Nachdem der Stoffüberzug getrocknet war,
bemalte er diese Masken. Eine weitere Eigenart der mongolischen religiösen
Kleinkunst stellen die aus Papiermaché gefertigten Miniaturgottheiten und
Lamastatuen dar. Da man die Figuren meist in Amulettbehältern aus Metall
verwahrte, waren sie gegen Beschädigung geschützt und stellten so eine dem
nomadischen Lebensstil angepasste ideale Kunstform dar. Von den Zsam-Tänzern
gibt es, und dies wiederum nur in der Mongolei, ca. 20-30 cm hohe geschnitzte
Darstellungen aus Holz.
Die
Thangkas gehören zu den besonders beeindruckenden Beispielen lamaistischer
Kunst. Thangkas sind Rollbilder mit großformatigen, auf Seide aufgetragenen Darstellungen
von buddhistischen Gottheiten Anfangs oblag die Herstellung der Thangkas
ausschließlich den Klöstern, und erst im 20. Jahrhundert fand das komplizierte
Kunsthandwerk auch Eingang in Schulen und speziellen Kursen außerhalb der
Klostermauern. Aber auch heute wird der Entwurf eines Seidenthangkas noch immer
von einem lamaistischen Mönch vorbereitet, denn er erfordert sehr genaue
Kenntnisse der Ikonographie, die in der Regel nur in den Klöstern vorhanden
sind. |